Es mutet wie ein Paradoxon an: Die Zahl der Ärzte hierzulande befindet sich auf einem Rekordhoch, dennoch fehlen ausreichend Mediziner, um flächendeckend die Lücken in der medizinischen Versorgung zu schließen. Experten gehen davon aus, dass sich der Ärztemangel in Deutschland in den kommenden Jahren noch dramatisieren wird.

Die Zahl der Ärzte in Deutschland steigt seit Jahrzehnten bereits kontinuierlich an. Dennoch ist die Jobmarktlage angespannt. Kliniken und Praxen, aber auch Reha-Einrichtungen suchen händeringend nach Fachkräften und schreiben unzählige Ärztestellen aus. Die Gründe dafür lassen sich auf mehrere Aspekte zurückführen. Zum einen stellen die jungen Mediziner heute andere Anforderungen an ihren Beruf. Zurecht legen sie Wert darauf, Familie, Job und Freizeit unter einen Hut zu bekommen. Zum anderen wächst der Anteil der Frauen unter den Medizinstudenten. Bereits 60 % der angehenden Ärzte sind weiblich. Vielfach arbeiten sie aus familiären Gründen später nicht in Vollzeit. Hinzu kommt die Schließung zahlreicher Arztpraxen, deren Betreiber aus Altersgründen aus dem Beruf ausscheiden. Immer mehr niedergelassene Ärzte finden keinen Nachfolger mehr.

Lieber eine Anstellung anstatt als niedergelassener Arzt zu praktizieren

Die Praxisvermittlung an Hausärzte stellt besonders auf dem Land eine Herausforderung für die Kassenärztliche Vereinigung dar. Junge Absolventen scheuen den Weg in die Selbstständigkeit, denn zu hoch sind die Risiken, die Bürokratie und zu niedrig das Honorar. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz versucht die Bundesregierung dieser besorgniserregenden Entwicklung entgegenzuwirken. Diverse Krankenkassen sprechen indes nicht von einem Ärztemangel. Sie gehen vielmehr davon aus, dass es sich bei der Problematik um eine bundesweite Ungleichverteilung handele.

Ärzte aus Zweit- und Drittländern sollen Lücken schließen

Längst reichen also die kurativ arbeitenden Mediziner hierzulande nicht mehr aus. Das Gesundheitswesen ist daher darauf angewiesen, auf Ärzte aus dem Ausland zurückzugreifen. Die Zuwachsrate unter den Kollegen betrug im Jahre 2014 11,1 % und ist damit beachtlich. Die Ärzte stammen zu zwei Dritteln aus der EU, sowie zu rund einem Drittel aus Drittländern wie etwa Indien, Ägypten und Syrien. Hinzu kommt die Tatsache, dass allein 2014 mehr als 2300 Ärzte Deutschland verlassen haben, um in Ländern wie der Schweiz oder den USA zu praktizieren. Der Ärztemangel in Deutschland hat zur Folge, dass nicht nur die Versorgung mit Hausärzten auf dem Land kompliziert wurde. In allen Fachrichtungen fehlen Ärzte, zum Beispiel der Pädiatrie, Geriatrie oder der Neurologie.

Demographischer Wandel und gesellschaftliche Entwicklung verschärfen den Konflikt

Der steigende Bedarf an Ärzten lässt sich teilweise auch mit dem demographischen Wandel und der damit einhergehenden vielseitigen Morbidität der Patienten zurückführen. Das Spektrum der Morbidität vergrößert sich also, die Behandlungsmethoden dank des medizinischen Fortschritts ebenfalls. Der Behandlungsaufwand begründet daher den  Mehrbedarf an Ärzten zusätzlich. Zudem suchen viele Patienten die Arztpraxen bereits wegen leichter Beschwerden auf und scheuen nicht den Besuch beim Hausarzt, wie es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war.

Fazit: Trotz steigender Ärztezahlen in Deutschland herrscht ein Ärztemangel. Die Gründe dafür liegen unter anderem im demographischen Wandel und der damit einhergehenden Multimorbidität der Patienten, dem veränderten Anspruch der Ärzte an ihren Beruf sowie dem Schließen zahlreicher Arztpraxen aus Altersgründen. Ärzte aus Zweit- und Drittländern sollen die Versorgungslücke schließen. Die Bundesregierung versucht mit dem Versorgungsstärkungsgesetz der besorgniserregenden Tendenz des Ärztemangels entgegenzuwirken.