Ein Mensch liegt nach einer Operation durchschnittlich fast zwei volle Tage bewegungslos im Bett – dabei könnte genau das seine Heilung gefährden. Denn Studien zeigen: Wer sich frühzeitig wieder rührt, hat deutlich weniger Komplikationen. Thrombosen, Lungenentzündungen oder Muskelabbau lassen sich durch gezielte Aktivierung oft verhindern. Warum also wird Bewegung im Klinikalltag noch immer so zögerlich umgesetzt? Und was braucht es, damit Patientinnen und Patienten schneller wieder auf die Beine kommen – körperlich wie mental? Dieser Artikel geht der Sache auf den Grund.
Bewegung ist Pflicht, auch nach der OP
Ruhen, regenerieren, Kräfte sammeln – das klingt zunächst logisch nach einer Operation. Doch genau diese Passivität kann zum Problem werden. Der Körper ist nicht dafür gemacht, stunden- oder tagelang bewegungslos zu verharren. Bereits nach 24 Stunden im Bett beginnt der Muskelabbau. Gleichzeitig sinkt die Lungenkapazität, der Kreislauf fährt herunter, das Risiko für Thrombosen steigt.
Medizinisch ist das längst bekannt. Trotzdem fällt es vielen Kliniken schwer, Mobilisierung konsequent umzusetzen. Die Gründe sind vielfältig: Personalmangel, fehlende Konzepte oder schlicht alte Gewohnheiten. Dabei zeigen Modelle aus der Schweiz oder Skandinavien, dass es auch anders geht – mit deutlichen Vorteilen für die Patienten.
Einige Reha-Anbieter kombinieren moderne Aktivierungsansätze mit individueller Nachbetreuung. Auch eine begleitende Physio im frühen Stadium kann helfen, den Körper sanft wieder an Belastung zu gewöhnen – bevor sich bleibende Einschränkungen entwickeln.
Was die Wissenschaft empfiehlt
Viele Patientinnen und Patienten kennen die Warnungen: „Nicht überanstrengen“, „langsam machen“, „schonen“. Doch moderne Studien räumen mit alten Dogmen auf. Statt pauschaler Ruheempfehlungen raten Fachgesellschaften heute zu einem konkreten Aktivitätsplan – individuell angepasst, aber konsequent umgesetzt. Eine der aktuellsten Erkenntnisse: Der Zeitpunkt der ersten Mobilisierung ist entscheidend für den gesamten Heilungsverlauf. Wer innerhalb der ersten 6 bis 24 Stunden mobilisiert wird – selbst wenn es nur das Aufsitzen im Bett ist – zeigt signifikant bessere Heilungsverläufe, weniger Komplikationen und ein geringeres Risiko für Re-Operationen.
Doch Theorie allein bringt wenig. Entscheidend ist, was im Klinikalltag praktikabel ist. Hier setzen sogenannte „Enhanced Recovery After Surgery“-Programme (ERAS) an. Sie verbinden Ernährung, Schmerztherapie, Flüssigkeitsmanagement und gezielte Bewegungspläne zu einem interdisziplinären Ansatz. In Skandinavien sind diese Konzepte längst Standard – mit beeindruckenden Ergebnissen: kürzere Liegezeiten, weniger Komplikationen, schnellere Rückkehr in den Alltag. Viele deutsche Kliniken testen ERAS derzeit in Pilotprojekten.
Der Teufelskreis aus Schonung und Folgeproblemen
Wer sich nicht bewegt, wird schwächer. Wer schwächer ist, traut sich weniger Bewegung zu. So beginnt ein Teufelskreis, der besonders ältere Patientinnen und Patienten trifft. In vielen Fällen ist es nicht die Operation selbst, die langfristige Einschränkungen hinterlässt – sondern der fehlende Antrieb oder die Angst vor Überlastung danach.
Ein klassisches Beispiel: Nach einem Eingriff an der Hüfte oder am Bauch vermeiden viele jede Bewegung, aus Sorge vor Schmerzen oder Komplikationen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Ohne Aktivität verkleben Muskeln und Faszien, das Gewebe heilt schlechter, die Genesung verzögert sich. Auch psychologisch spielt Mobilität eine enorme Rolle: Bewegung signalisiert dem Gehirn, dass der Körper heil ist – das schafft Vertrauen und Motivation.
Bewegung als mentale Medizin
Gerade in den ersten Tagen nach einer Operation entscheidet sich, ob der Patient in die Eigenverantwortung zurückfindet – oder in die Abhängigkeit abrutscht. Bewegung ist hier weit mehr als ein körperlicher Reiz. Sie wirkt wie ein mentales Medikament: Wer sich aufrichten kann, wer den ersten Schritt macht, wer spürt, dass etwas wieder geht – der beginnt, sich selbst zu vertrauen.
Diesen psychologischen Effekt belegen mittlerweile auch Studien aus der Rehabilitationsforschung. Frühmobilisierte Patientinnen berichten häufiger von mehr Selbstsicherheit, weniger Angststörungen und seltener von depressiven Symptomen im Heilungsverlauf. Nicht der Schmerz selbst hemmt die Mobilisierung – sondern die Erwartung des Schmerzes. Ein geschulter Umgang mit diesen Ängsten, idealerweise im Zusammenspiel mit der Pflege und einem motivierenden Umfeld, kann die Blockade lösen.