Dass die Schwerelosigkeit aufgrund der besonderen physikalischen Bedingungen einen Einfluss auf den Blutdruck nimmt ist in der Medizin bereits bekannt. Die widersprüchliche Symptomatik, die sich im All zeigt, lässt Forscher seit Jahren rätseln. Verschiedene Experimente sollen tiefere Einblicke ermöglichen.

Niedriger Blutdruck vs. Erhöhte Katecholamin-Zahl

In der Schwerelosigkeit findet eine Blutdrucksenkung statt. Die fehlende Gravitation mindert den Gefäßwiderstand und senkt den Blutdruck bereits nach drei bis sechs Monaten Aufenthalt im All um ca. 10 mmHg. Unter normaler Erdanziehung steigt dieser jedoch wieder an und erreicht das zuvor vorherrschende Niveau, unabhängig davon ob dieser zuvor normal oder erhöht war.

 

Klassische Einordnung der Blutdruck-Stufen (©euroclinix.de)

Gleichzeitig steigt unter Schwerelosigkeit die Katecholamin-Zahl im Blut. Katecholamine sind eine Stoffgruppe, die als eine Art hormoneller Neurotransmitter im Zentralnervensystem angesehen werden können. Ein hoher Katecholaminspiegel sorgt in der Regel für Bluthochdruck. Entsprechend widersprüchlich stehen diese Befunde zum niedrigen Blutdruck. Immerhin steige nach Angaben der ÄrzteZeitung das Herzminutenvolumen im All um etwa 33 Prozent an, was den peripheren wie systemischen Gefäßwiderstand sinken lässt.

Keine eindeutige Klärung in der Forschung

Die Forscher sammeln seit jeher Daten um durch deren Interpretation das Phänomen eindeutig klären zu können. Verschiedene Ansätze stehen jedoch noch im Raum, wenngleich man sich der Ursache zu nähern scheint.

Eine der gängigen Hypothesen ist eine natürliche Anpassungsreaktion des vegetativen Nervensystems als ursächlichen Faktor. Ein niedriger Katecholamin-Spiegel würde zusätzlich den Blutdruck absenken. Indem dieser ansteigt kann der Blutdruck auf einem geringeren aber gesunden und stabilen Niveau gehalten werden, das für den Körper keine Gefahr darstellt.

Gleichzeitig sehen Forscher in dieser Theorie auch die Bestätigung dafür, dass die Erdgravitation mehr sowie die sympathische Nervensystem weniger Einfluss auf den Blutdruck hat, als teilweise angenommen. So kommt es im All zu einem Dehnungsreiz, der eine Relaxation der Herzgefäße verursacht. Die Erdanziehung sowie ein aufrechter Lebensstil (häufiges Sitzen und Stehen) verhindern eine solche Relaxation.

Neuere Befunde konzentrieren sich auf durch die geänderten physikalischen Bedingungen hervorgerufene anatomische Verhältnisse und Prozesse. Demnach beeinflusse die Schwerelosigkeit die anatomische Struktur des Herzens (breiterer Thorax und rundere Herzform) und eine kopfwärts-stimulierende Verteilung von Flüssigkeiten, insbesondere Blut.

Keine lineare Beziehung

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2013 ging der Art der Beziehung zwischen Blutdruck und Schwerelosigkeit auf den Grund. In Partial-g-Flügen wurden 14 Probanden getestet, wobei nicht allein der Schwerelosigkeitsmoment im Mittelpunkt stand. Der Blutdruck wurde während des gesamten Fluges ermittelt, sodass anhand der Ergebnisse eine Entwicklungskurve bei abnehmender und ansteigender Gravitation erstellt werden konnte. Auch hier zeigt sich in unerwartetes Ergebnis – Blutdruck und Schwerelosigkeit verhalten sich nicht linear.

Mit abnehmender Schwerkraft kam es keinesfalls zu einem ebenso gleichmäßigen Abfall des Blutdrucks. Während der Hypergravitation erreichte der Blutdruck sein niedrigstes Niveau, erholte sich danach jedoch deutlich schneller als vermutet. Unter Marsschwerkraft war der Abfall nicht so ausgeprägt zu verzeichnen, wobei die Stabilisation des Niveaus erheblich langsamer erfolgte als bei einem größeren Abfall. Unter noch geringerer Schwerkraft, wie sie auf dem Mond vorherrscht, konnten die Forscher zudem keinerlei Orthostasereaktion (Anpassungsreaktion durch gesteigerte Herzfrequenz und Erhöhung des Blutdrucks) feststellen.

Orthostasereaktionen sind nötig um Schwerkraftunterschiede bei einem Wechsel von Gravitationsbedingungen auszugleichen. Die Befunde legen nahe, dass die Schwerelosigkeit sozusagen im Zeitraffer wirkt. Die Auswirkungen treffen den Körper zeitverschoben. Dies verdeutlicht auch das puffy-face-chicken-legs-Phänomen – die Flüssigkeitsverlagerung und der zum Herzen gerichtete Blutfluss führen dazu, dass Astronauten nach der Rückkehr zur Erdanziehung einige Tage nicht aufrecht gehen können.

Zentraler Blutdruck im Fokus

Ein aktuelles Forschungsprojekt stellt nun den zentralen Blutdruck in den Mittelpunkt. Der zentrale Blutdruck, beschreibt den Druck in der Hauptschlagader – im Gegensatz dazu steht der periphere Druck, der am Arm gemessen wird. Aktuelle Befunde zeigen, dass der zentrale Blutdruck eine weitaus größere Rolle bei der Entstehung von koronaren Erkrankungen, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, spielt als der periphere Druck.

Während mehreren Schwerelosigkeitsflügen wurde bei zwölf Probanden mithilfe eines speziellen Messgeräts die Pulswelle zur

Ermittlung des zentralen Blutdrucks erfasst. Auch der periphere Druck wurde zusätzlich gemessen. Jede Schwerelosigkeitssitzung dauerte dabei 20 Sekunden. Eine Auswertung der Ergebnisse ist noch abzuwarten. Jedoch erwarten die Forscher, dass peripherer und zentraler Druck in der Schwerelosigkeit eine unterschiedliche Dynamik aufweisen.

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